04.08.2025

„Ein Experiment, das schlecht für alle ist“: Bereichsleiter Jan Holthusen über den Zoll-Deal zwischen Europa und den USA

Die Aufnahme zeigt eine Person in einem hellblauen Anzug mit verschränkten Armen, die vor einem geometrisch gestreiften Hintergrund steht. Der Anzug vermittelt einen professionellen Eindruck, was möglicherweise auf ein geschäftliches oder formelles Umfeld hinweist.

Nach langem Hin und Her haben sich die EU und die USA in der vergangenen Woche auf ein Zollabkommen verständigt. Die Amerikaner belegen fast alle EU-Waren mit einem Importzoll in Höhe von 15 Prozent. In umgekehrter Richtung soll es dagegen keine Abgaben geben. Research-Bereichsleiter Jan Holthusen ordnet im Interview ein, was der sogenannte Deal für Europa und vor allem Deutschland bedeutet. Zudem erläutert er, wie sich die Entwicklung auf die Konjunkturprognosen auswirken könnte.

Herr Holthusen, die USA belegen Importe aus der EU – mit einigen Ausnahmen – mit einem Zoll in Höhe von 15 statt 30 Prozent, gehören Sie dem Team Erleichterung oder Enttäuschung an?
Beiden. Erleichtert bin ich deswegen, weil kurzfristig das Schlimmste verhindert wurde. Aber der „Deal“ ist kein guter. Enttäuscht bin ich darüber, dass sich Europa hat erpressen lassen. Wahrscheinlich muss man sagen, dass sich Europa hat erpressen lassen müssen. Diese Einsicht ist zwar nicht neu, aber deshalb nicht weniger schmerzlich. Offenbar haben Sicherheitsthemen rund um die NATO und Ukraine sowie die Sorge um die politischen Folgen eines Konjunkturabschwungs zu dieser Einigung beigetragen.

Welche Branchen werden hierzulande von dem „Deal“ am meisten betroffen sein und macht das Abkommen Deutschlands Wachstumshoffnungen gleich wieder zunichte?
Besonders betroffen sind Branchen, die viel exportieren – vor allem in die USA. Hierzu gehört insbesondere die Pharmabranche. Aber auch die Auto- und Zulieferindustrie sowie der Maschinenbau sind stark betroffen. Es leiden auch noch Elektro- und Elektronikindustrie sowie die Chemiebranche – wenn man so will, der Kern der deutschen Industrie. Deutschland wird daher von den Ländern der Eurozone am stärksten in Mitleidenschaft gezogen werden. Allerdings erwarten wir, dass der von uns für 2026 prognostizierte leichte Aufschwung zwar gedämpft, aber nicht vollständig zunichte gemacht wird.

Wie kann es sein, dass die Europäer Zölle zahlen müssen, die USA aber nicht – sind wir ein schwacher Kontinent?
Wir sollten nicht die Rhetorik von Donald Trump übernehmen. Nicht Europa zahlt die Zölle, sondern die amerikanischen Importeure. Inwieweit diese dann in der Lage sind, den Europäern Preiszugeständnisse abzuringen oder ob letztlich sie und die US-Konsumenten den Preis zahlen, wird je nach Produkt und Branche sehr unterschiedlich sein. Aber ja – Europa ist ein schwacher Kontinent. Wir unterwerfen uns einer US-Regierung, die jahrzehntealte Grundprinzipien über Bord wirft. Die Administration ignoriert so zudem die eigenen langfristigen Interessen. Auf der anderen Seite leiden wir darunter, dass China im Wettstreit mit den USA um die globale wirtschaftliche Hegemonie immer rücksichtsloser agiert. Das Land versucht Europa noch stärker in eine einseitige Abhängigkeit zu treiben, als das ohnehin schon der Fall ist.

Können die europäischen Unternehmen die Zölle auf ihre Preise einfach so umlegen oder besteht die Gefahr, dass sie auf dem wichtigen US-Markt dann weniger Umsätze machen?
Hier gibt es verschiedenen Möglichkeiten. Zunächst ist es so, dass der US-Importeur den Zoll an die Zollbehörden abzuführen hat. Er kann versuchen, seine europäischen Zulieferer zu Preiszugeständnissen zu bewegen, was vor allem anfangs in einem gewissen Maß gelingen mag. Außerdem kann er den Zoll aus eigener Tasche bezahlen, was zulasten seiner Gewinne geht. Oder er kann versuchen, den höheren Preis an seine Abnehmer in den USA weiterzureichen. Das würde zu einer höheren Inflation führen. Zudem ist es möglich, dass sich der grenzüberschreitende Handel mit bestimmten Produkten aufgrund der Abgaben nicht mehr lohnt und damit die europäischen Unternehmen weniger exportieren. Die USA werden dann gezwungen sein, zu höheren Kosten im Inland zu produzieren oder weniger zu konsumieren. Letztendlich wird sich, je nach Produktkategorie und Branche, eine Mischung aus den verschiedenen Effekten einstellen. Aber eines ist klar. Wir befinden uns am Beginn eines gigantischen wirtschaftspolitischen Experiments. Der Ausgang ist ungewiss, aber schlecht für alle Beteiligten. 

Ist das Abkommen nun in Stein gemeißelt oder gibt es zeitnah schon wieder Anpassungen? 
Bei Trump ist kaum etwas in Stein gemeißelt. Viel mehr als den Handschlag zwischen Frau von der Leyen und dem US-Präsidenten gibt es bisher nicht. Im Anschluss gab es aber schnell unterschiedliche Auffassungen darüber, wie das alles auszulegen sei. Was genau und was nicht besprochen wurde. Nehmen wir die Zusage, dass Europa 600 Milliarden US-Dollar in den Vereinigten Staaten investieren will. Unklar ist, in welchem Zeitraum das geschehen soll. Zudem ist völlig offen, wie freie Unternehmen dazu genötigt werden sollen, in einem Land zu investieren, in dem es zu wenig qualifizierte Arbeitskräfte gibt. Auch die Energieindustrie hat sich inzwischen zu Wort gemeldet, dass die zugesagten Energieimporte der EU aus den USA nicht durch eine politische Entscheidung verordnet werden kann. Das hängt vom jeweiligen Management ab. Unsicherheit dürfte es somit vorerst weiter geben, was die Konjunkturaktivität belastet.