„Desaster für Bundespolitik“: Chefvolkswirt Michael Holstein ordnet Ost-Wahlen ein

Michael Holstein ordnet die Wahlen ein

Am Sonntag wurde in Sachsen und Thüringen gewählt. In beiden Bundesländern haben die Ampel-Parteien deutlich an Zustimmung verloren. Der große Gewinner: Die AfD. Sie holte sowohl in Sachsen als auch in Thüringen mehr als doppelt so viele Stimmen wie die Regierungsparteien. Chefvolkswirt Michael Holstein ordnet das Wahlergebnis ein und erklärt, wie sich die politischen Verschiebungen auf die deutsche Wirtschaft auswirken könnten.

Herr Holstein, warum schneiden die Parteien der Bundesregierung so schlecht ab?
Das Wahlergebnis in Sachsen und Thüringen demonstriert die Unzufriedenheit vieler Bürger mit der aktuellen Politik – für den Bund ist es ein Desaster. Im Fokus der Wahlen standen die Themen Migration und Flüchtlinge, NATO- und EU-Mitgliedschaft sowie die Energiepolitik, obwohl Landesregierungen darauf keinen nennenswerten Einfluss haben. Somit ist der gestrige Sonntag zu einer Art Referendum über die Bundespolitik geworden, was vor allem die populistischen Parteien auf der linken und rechten Seite für sich genutzt haben. Ein verheerendes Signal – vor allem auch international – ist der AfD-Wahlsieg in Thüringen. Zum ersten Mal in der Geschichte der Bundesrepublik wird eine rechtsradikale Partei stärkste Kraft auf Landesebene.

Was bedeutet das Wahlergebnis für die Wirtschaft?
Für die Finanzmärkte haben die Ergebnisse zumindest auf kurze Sicht kaum Auswirkungen: Den Landesregierungen ist der finanzpolitische Spielraum durch die Schuldenbremse stark beschnitten und die Beistandspflicht des Bundes hat Verfassungsrang. Bedeutender sind die mittel- und längerfristigen Signale, die von den beiden Landtagswahlen ausgehen: Investoren werden einen Bogen um Länder mit populistischen und tendenziell wirtschaftsfeindlichen Regierungen machen. Produktive Arbeitskräfte werden abwandern, Zuwanderung wird kaum noch stattfinden. Allein in Thüringen sinkt die Einwohnerzahl laut dem Landesamt für Statistik bis 2042 um neun Prozent. Es droht ein weiterer Rückgang der Wirtschaftskraft und des Wachstumspotentials.

Gibt es eine politische Lösung für die Probleme und ist die Ampel am Ende?
Es ist für unser Land von großer Bedeutung, dass wirtschaftspolitische Reformen endlich an Fahrt aufnehmen und eine Agenda 2030 für die Wirtschaft formuliert wird. Die Ampel sollte sich um die drängendsten Probleme kümmern. Hierzu gehört eine Senkung der Unternehmenssteuern und ein grundlegender Bürokratieabbau. Zudem dürfen möglichst hohe Sozialleistungen mit geringen Anreizen zur Arbeitsaufnahme nicht im Fokus stehen. Ob die Ampel zu einem großen Ruck noch in der Lage ist, darf aufgrund ihrer grundsätzlichen Differenzen jedoch bezweifelt werden.