Deutschlands Atomausstieg: „Kein positives Signal für den Standort“
Am kommenden Samstag geht eine Ära zu Ende – Deutschland nimmt seine drei letzten Atomkraftwerke vom Netz. Wegen der weiterhin angespannten Lage am Energiemarkt und weil die Atomkraft in vielen anderen Staaten eine Renaissance erlebt, ist die Maßnahme umstritten. Für die Bundesregierung gibt es auf dem Weg zur Klimaneutralität aber kein Zurück mehr. DZ BANK Chefvolkswirt Michael Holstein erklärt, warum er diesen Schritt in der aktuellen Lage nicht sinnvoll findet.
Am Samstag gehen Deutschlands letzte Atommeiler vom Netz – ein Fehler oder Weitsicht auf dem Weg zur Klimaneutralität?
Das Festhalten der Koalition am Atomausstieg auch unter den veränderten energiepolitischen Rahmenbedingungen ist aus ökonomischer Sicht nur schwer nachvollziehbar. Der Wegfall des billigen und weniger CO2-intensiven Erdgases und sein Ersatz durch die sehr „schmutzige“ Kohle in der Stromerzeugung läuft den klimapolitischen Zielen eigentlich komplett zuwider.
Drohen nun Stromengpässe in Herbst und Winter?
Das muss nicht sein, schließlich ist Kohle in ausreichender Menge verfügbar und auch die ersten drei LNG-Terminals in Wilhelmshaven, Lubmin und Brunsbüttel laufen mittlerweile. Aber im Falle einer Gasknappheit oder wenn in Frankreich wieder vermehrt Reaktoren wegen Wartungs- oder Reparaturmaßnahmen ausfallen sollten, könnte es tatsächlich auch beim Strom noch einmal eng werden.
Befeuert das Atom-Aus die Inflation und welche Konsequenzen hat die Entscheidung für den Standort Deutschland?
Der unmittelbare Einfluss auf die Inflation dürfte nicht allzu groß sein, auch weil die letzten drei AKWs nur noch für rund 6 Prozent unserer Stromerzeugung verantwortlich waren. Sicherlich wird die Stromerzeugung dadurch etwas teurer, aber der entscheidende Faktor sind hier klar die internationalen Energiepreise. Sollten die noch einmal kräftig ansteigen, dann steigt auch die Inflationsrate wieder.
Das Signal für den Standort Deutschland ist sicherlich kein positives. Die Strompreise gehören für die deutsche Industrie ohnehin schon zu den höchsten weltweit. Die Perspektive hat sich damit weiter verschlechtert.
Deutschland setzt auch wegen des Ausstiegs vorerst stärker auf Kohle und importiert Atomenergie und Fracking-Gas aus dem Ausland – wie ordnen Sie diese Politik ein?
Sie erscheint mir weder weitsichtig noch rational. Wenn wir auf Atomstrom und Fracking-Gas zurückgreifen – warum dann nicht aus heimischer Produktion, die man auch selbst unter Kontrolle hat? Die Kohleverstromung sollte wegen ihrer schlechten Umweltverträglichkeit so schnell wie möglich beendet und nicht noch einmal hochgefahren werden. Für mich ist diese Politik unter Kosten-Nutzen-Gesichtspunkten nicht nachvollziehbar.