„Italien droht ein Teufelskreis“: Analystin Sophia Oertmann erklärt die Auswirkungen der Zinswende
Mit dem Beginn der Zinswende im vergangenen Jahr hat sich das Wirtschaftsumfeld schlagartig verändert. Schulden kosten wieder mehr Geld. Das spüren nicht nur Unternehmen und Verbraucher. Auch die wegen des Krisenumfelds stark belasteten Staaten müssen für ihre Refinanzierung nun wieder deutlich tiefer in die Tasche greifen. Laut dem DZ BANK Research dürfte sich sogar die Zinslast von Benchmark-Emittent Deutschland 2023 verdoppeln. Wirklich schwer lasten die veränderten Rahmenbedingungen auf hochverschuldeten EU-Ländern wie Italien. Wenn das Land keine Reformen umsetzt, wird es dem Staat laut Analystin Sophia Oertmann künftig schwerfallen, einen nachhaltigen Anstieg der Verschuldungsquoten zu vermeiden.
Frau Oertmann, in einer Studie haben Sie vorgerechnet, dass Italien einen nachhaltig positiven Primärsaldo braucht, um einen langfristigen Schuldenanstieg zu vermeiden – welche Reformen sollte das Land angehen?
Ein positiver Primärsaldo lässt sich vor allem durch Einsparmaßnahmen erzielen, gleichzeitig möchte die Regierung die Wirtschaft nicht stark belasten. Deshalb wäre es wichtig, dass Italien die im Rahmen des EU-Wiederaufbaufonds Next Generation EU (NGEU) vereinbarten Reformen umsetzt. Dabei geht es insbesondere um Digitalisierung und Nachhaltigkeit mit dem Ziel, das Wachstum zu stärken. Die Auszahlung der rund 200 Milliarden Euro an Zuschüssen und Krediten für Italien sind an das Erreichen dieser Meilensteine gebunden. Es deutet sich jedoch an, dass das Land nicht alle Maßnahmen rechtzeitig umsetzen wird, obwohl die Mittel aus NGEU zum Teil bereits im italienischen Budget eingeplant sind. Eine unvollständige Auszahlung wäre für den Primärsaldo eine weitere Bürde.
Vor allem die südeuropäischen Länder haben gemessen am BIP eine Verschuldung von mehr als 100 Prozent – kann die Peripherie der Eurozone die Zinswende überhaupt verkraften?
Im Rahmen der Zinswende wirken sich die gestiegenen Renditen und Risikoaufschläge nur schrittweise auf die Refinanzierungskosten der Staaten aus. Die italienische Staatsverschuldung hat eine durchschnittliche Restlaufzeit von etwa sieben Jahren. Vereinfacht gesprochen, muss jedes Jahr nur rund ein Siebtel der Schulden zu den nun höheren Renditen refinanziert werden. Damit bietet sich den Regierungen ein zeitlicher Puffer, um durch einen verbesserten Primärsaldo, also eine Stärkung der Staatseinnahmen gegenüber den -ausgaben, den höheren Zinskosten entgegenzuwirken. Darüber hinaus bleibt aber auch das Wirtschaftswachstum für die Entwicklung der Verschuldung entscheidend, da diese im Verhältnis zum Bruttoinlandsprodukt angegeben wird.
Eine wichtige Rolle für die Refinanzierung der Staaten spielen Ratingagenturen – wie blicken diese wegen der multiplen Krisen aktuell auf Südeuropa und Benchmark-Emittenten wie Deutschland?
Im vergangenen Jahr gab es bei der Bonitätsbeurteilung durch die großen Ratingagenturen Gewinner und Verlierer. Während die beiden AAA-Nationen Deutschland und die Niederlande trotz der gestiegenen Schuldenstandsquoten weiterhin als unangefochtene Safe-Haven dastehen, wurden bei Portugal und Griechenland Heraufstufungen durch den politischen Sparwillen ermöglicht. Im Gegensatz dazu sorgte bei Frankreich die angespannte Fiskallage für eine leichte Verschlechterung des Ratingprofils – für die weitere Entwicklung dürfte vor allem Macrons Rentenreform entscheidend sein. Ein Scheitern könnte sich negativ auf das Ratingprofil auswirken. Die deutlichsten Warnsignale senden die Agenturen allerdings bei Italien. Moody’s attestiert dem Land aktuell ein Rating von Baa3 mit negativem Ausblick, sodass eine Herabstufung in den Non-Investment-Grade-Bereich nicht auszuschließen ist. Sollte es zu einer weiteren Verschlechterung im italienischen Ratingprofil kommen, dürfte das auch erneut höhere Refinanzierungskosten zur Folge haben. Dann droht im ungünstigsten Fall ein Teufelskreis.
Mit dem Wiederaufbaufonds Next Generation EU nimmt die EU in größerem Umfang Schulden auf – wird das künftig zur Normalität?
Ginge es nach dem italienischen Finanzminister Giancarlo Giorgetti, hieße die Antwort vermutlich ja. Zumindest hat er schon mehrfach für einen strategischen Fonds auf EU-Ebene als Fortsetzung von NGEU geworben. Die Befürworter argumentieren vor allem mit fairen Wettbewerbsbedingungen für alle Mitgliedsstaaten und ihre Unternehmen. So soll verhindert werden, dass nationale Schuldenstände und unterschiedliche Refinanzierungsbedingungen einen negativen Einfluss auf die wirtschaftliche Entwicklung der Staaten haben. Eine gemeinschaftliche Verschuldung über die EU wäre für Italien und andere Peripheriestaaten die günstigere, für Deutschland und die Kernstaaten aber die deutlich teurere Option. Da die EU-Schulden nicht bei den nationalen Schuldenkennziffern angerechnet werden, besteht zudem Anlass zur Sorge, dass die Gesamtverschuldung weiter steigt und Transparenz verloren geht.
Weitere Informationen gibt es auf dem DZ Research Blog.