29.07.2021

Inflation im Juli: Deutschland knackt die Drei-Prozent-Marke

Konjunktur-Analyst Christoph Swonke

Im Vergleich zum Vorjahresmonat ist der harmonisierte Verbraucherpreisindex in Deutschland im Juli um 3,1 Prozent gestiegen. Das gab es hierzulande letztmals im Jahr 2008. In nationaler Abgrenzung stieg die Inflationsrate sogar auf 3,8 Prozent (VPI). Die Werte hat das Statistische Bundesamt heute veröffentlicht. Die Teuerung liegt vor allem an Sondereffekten wie hohen Rohstoffpreisen und der Mehrwertsteuersenkung im vergangenen Jahr. Im Interview erklärt Konjunktur-Analyst Christoph Swonke die Gründe für die aktuelle Entwicklung und sagt, welche Gefahren für einen weiteren Anstieg mittelfristig lauern.

Über drei Prozent Inflation im Vergleich zum Vorjahresmonat – das gab es in Deutschland zum letzten Mal 2008: Herr Swonke, warum schießen die Preise gerade jetzt so in die Höhe?

Es kommen mehrere Aspekte zusammen. Der Preis für Rohöl liegt derzeit rund 70 Prozent über dem Niveau des Vorjahres. Dies sorgt für eine deutliche Verteuerung beim Tanken und Heizen. Hinzu kommt jetzt der Effekt der Rücknahme der temporären Mehrwertsteuersenkung zwischen Juli und Dezember im letzten Jahr. Dies drückte in der zweiten Jahreshälfte 2020 die Preise und wirkt nun preistreibend. Zusätzlich verteuern sich in Folge der Lockerungen in den von der Pandemie besonders betroffenen Dienstleistungsbereichen wie Gastronomie und Beherbergung die Preise. Außerdem wird der erhöhte Preisdruck bei wichtigen Industrierohstoffen an die Verbraucher weitergegeben.

Für das laufende Jahr prognostiziert die DZ BANK eine Inflationsrate von 3 Prozent – ist das nach wie vor realistisch oder gibt es bald eine Anpassung?

Änderungsbedarf an unser Inflationsprognose sehen wir derzeit nicht. Es ist auch nicht davon auszugehen, dass die Inflationsrate dauerhaft weiter in diesem Tempo steigen wird. Viele der Effekte haben wir in dieser Form erwartet und sind eine Folgereaktion auf die Auswirkungen der Pandemie im letzten Jahr. Wir sprechen hier von Basiseffekten, die 2020 preissenkend und jetzt preistreibend wirken. Mit Blick auf das Jahr 2022 verlieren diese Basiseffekte aber ihre Wirkung. So fällt die Auswirkung der Mehrwertsteueränderung zum Jahresende 2021 raus und wird den Anstieg der Verbraucherpreise gegenüber dem Vorjahr drosseln. Auch der Ölpreis wird wohl im kommenden Jahr nicht mehr so deutlich steigen. Der erhöhte Preisdruck und die Probleme mit Vorprodukten im Industriebereich dürften sich in weiten Teilen normalisieren. Wir erwarten die Inflationsrate in Deutschland im nächsten Jahr daher bei 1,6 Prozent.

Vermögenswerte wie Immobilien fließen noch nicht in die Inflationsmessung ein – ist die Teuerungsrate in Wahrheit noch viel höher als offiziell angegeben?

Die wahrgenommene und die gemessene Inflation klaffen nach Ansicht vieler Bürger auseinander. Insbesondere beim Thema Wohnen ist dies aufgrund anziehender Mieten und steigender Kaufpreise von Häusern und Wohnungen relevant. Lässt man die Kosten für den Erwerb und für die Nutzung des selbstgenutzten Wohnraums anhand ihres Gewichts an den gesamten Konsumausgaben in die Berechnung einfließen, wäre die Inflationsrate im Euro-Raum ab dem Jahr 2015 höher ausgefallen und in den Jahren davor niedriger. Die Berücksichtigung der Kosten für selbstgenutzten Wohnraum würde anhand unserer Überschlagsberechnungen im Durchschnitt zu einer absoluten Abweichung der Inflationsrate von rund 0,2 Prozentpunkten pro Jahr führen.

Ein Ende der Niedrigzinsphase ist nicht in Sicht und Europas Staaten machen wegen der Corona-Pandemie neue Schulden. Wo könnte das die Inflation noch hintreiben und welche Gefahren für dauerhaft hohe Preise gibt es außerdem?

Die wirtschaftlichen Nachholeffekte in der Post-Corona-Zeit könnten deutlich stärker ausfallen als wir es bislang erwarten. Ausgehend von den USA, die konjunkturell in der Erholungsphase schon weiter vorangeschritten sind als Europa, könnte ein unerwartet kräftiger und anhaltender Nachfrageboom ausgelöst werden. Dies dürfte durch die weiterhin anhaltend expansive Fiskalpolitik oder durch das Auflösen großer Anteile der „Corona-Ersparnisse“ der privaten Haushalte befeuert werden. Die Unternehmen würden in diesem Szenario versuchen, die starke Nachfrage durch neue Einstellungen zu kompensieren. Der Arbeitsmarkt kann das aber nicht bedienen. Folgend würde es zu einem ausgeprägten Fachkräftemangel kommen, der mit starken Lohneffekten einhergeht. Dies hätte das Potenzial abweichend von unserer Prognose über eine Lohn-Preisspirale die Inflationsrate deutlich und dauerhaft steigen zu lassen.

Ziehen die Immobilien- und Aktienwerte weiter an, wenn die expansive Fiskalpolitik so bleibt?

Wenn die Fiskalpolitik in Europa auch in den kommenden Jahren auf einem expansiven Kurs bleibt, dann steigt der Druck auf die EZB, die Zinsen niedrig zu halten. Bei einer Fortsetzung des Niedrigzinsumfelds bleiben Immobilien und Aktien relevante Anlagealternativen.