Wirtschaftspolitische Zeitenwende?
Ein Meinungsbeitrag von Research-Bereichsleiter Jan Holthusen
Weniger Staat und mehr Markt. Zumindest auf den ersten Blick gibt es in westlich geprägten Ländern zunehmend eine wirtschaftspolitische Renaissance der 1980er Jahre. Besonders deutlich macht das die Wiederwahl von Donald Trump, der gegen die Demokratin und für US-amerikanische Verhältnisse staatsgläubige Kamala Harris gewonnen hat. Sein erklärtes Ziel: Ein Bürokratie-Kahlschlag. Auch ein Blick nach Argentinien, wo der libertär geprägte Präsident Javier Milei seit gut einem Jahr in der Wirtschaftspolitik keinen Stein auf dem anderen lässt, könnte den Eindruck entstehen lassen, dass Reaganomics und Thatcherismus ihren Weg in die Gegenwart gefunden haben. Ein weiteres Land, das bald einen ähnlichen Weg einschlagen könnte, ist Kanada. Der Mitte-Links Premierminister Justin Trudeau hat jüngst seinen Rücktritt erklärt. Neuwahlen sollen noch im Frühjahr stattfinden. Der mögliche Nutznießer: Pierre Poilievre von der Konservativen Partei, der in Umfragen weit vor den Liberalen liegt und bereits angekündigt hat, Kanada zum freiesten Land der Welt machen zu wollen. Auch in Deutschland werden Stimmen, die ein marktwirtschaftlicheres Umfeld fordern, aufgrund der lahmenden Konjunktur, einer überbordenden Bürokratie und des aufgeblähten Sozialstaats lauter. Die aktuellen Umfragen zur Bundestagswahl machen das deutlich.

Europa (bisher) ohne Konzept
Die Entwicklungen jenseits des Atlantiks werden auch Auswirkungen auf Europa und Deutschland haben. Sie werden den Druck verstärken, Maßnahmen zu ergreifen, welche zumindest zum Teil in die Richtung gehen, die von Amerika vorgegeben werden. Denn klar ist: Seit dem Ende der Corona-Pandemie und dem Beginn des Ukraine-Kriegs schlagen sich die USA wirtschaftlich viel besser als der Euro-Raum. Wachstumsraten von über zwei Prozent sind in der größten Volkswirtschaft der Welt die Realität, während für die EU die Ein-Prozent-Marke derzeit kaum zu erreichen ist. Es muss natürlich nicht Musk oder Milei sein. Für Kleptokratie und die Aushöhlung der Demokratie darf auch in Zukunft in Europa kein Platz sein. Aber der Mut und die Entschlossenheit für mehr Eigenverantwortung sowie weniger Bürokratie und Regulierung sind auch in Europa und gerade in Deutschland dringend erforderlich. Deutschland braucht vielleicht keine Kettensäge – den richtigen Einsatz des politischen Werkzeugkastens braucht es aber ganz gewiss.
Den Kurs neu setzen: Stellschrauben für Deutschlands wirtschaftliche Erneuerung
Deutschland muss Leistungs- und Arbeitsanreize neu definieren. Dazu gehört auch die Reform des Sozialstaats. Das Bürgergeld ist zu teuer und verhindert sogar eine Arbeitsaufnahme. Eine deutliche Erhöhung des derzeit bei 12.096 Euro liegenden steuerlichen Grundfreibetrags bei gleichzeitiger Reduktion des Bürgergelds könnte hier erste Anreize setzen.
Daneben muss dem demografischen Wandel durch eine Ausweitung des Arbeitsvolumens entgegengewirkt werden. Ansatzpunkte sind hier qualifizierte Fachkräftezuwanderung, stärkere Integration von Frauen und Älteren ins Erwerbsleben sowie eine längere Lebensarbeitszeit in Abhängigkeit von der steigenden Lebenserwartung.
Dass die positiven Wirkungen von Subventionen auf eine Volkswirtschaft ihre Grenzen haben, zeigen jüngere Beispiele wie Intel oder Northvolt. Umso wichtiger ist es, dass Firmen hierzulande aus eigenen Stücken wieder stärker in den Standort investieren. Eine wichtige Voraussetzung hierfür: Die Unternehmenssteuern müssen runter – fast 30 Prozent sind im internationalen Vergleich viel zu hoch. In der EU zahlten Kapitalgesellschaften laut BDI 2023 im Durchschnitt nur 21,1 Prozent.
„Bei der Energiepolitik Deutschlands fehlt ein schlüssiges Konzept.“
Die Energiepolitik Deutschlands hat in den letzten Jahren zu einer weiteren Verschlechterung der Wettbewerbsfähigkeit deutscher Unternehmen geführt. Ein schlüssiges Konzept fehlt, Ideologie hat zuletzt ökonomischen Sachverstand und physikalische Fakten dominiert. Zu häufig wurden beim Trilemma „Versorgungssicherheit – Kosten – Nachhaltigkeit“ die beiden ersten Punkte vergessen. Wieder wettbewerbsfähige Energiepreise könnten die Investitionen beflügeln und mit dazu beitragen, die De-Industrialisierung Deutschlands aufzuhalten. Zwar hat die Bundesregierung die Abgaben und Steuern für Großunternehmen beim Strom gesenkt – kleinere mittelständische Unternehmen profitieren davon aber nicht. Für einen durchschnittlichen Gewerbekunden mit einem Jahresstromverbrauch von 50 Megawattstunden waren im April 2024 laut Bundesnetzagentur nur 54 Prozent der Gesamtkosten vom Lieferanten beeinflussbar. Das Netzentgelt betrug 30 und die Stromsteuer sieben Prozent. Hinzu kommen weitere Gebühren wie die Konzessionsabgabe. Daraus ergibt sich, befeuert durch den Staat, ein durchschnittlicher Preis von mehr als 30 Cent je Kilowattstunde. Im Vergleich zu den USA ist das mehr als doppelt so hoch. Auch hier wäre also eine Liberalisierung ein Schritt zu mehr Wettbewerbsfähigkeit.
Über 80 Prozent der deutschen Mittelständler klagen über eine zu hohe Bürokratiebelastung. Das beste Beispiel für den Bürokratiewahnsinn ist das deutsche Lieferkettengesetz, das 2023 eingeführt und im vergangenen Jahr verschärft wurde. Auch wenn bereits viel Geld und Aufwand investiert wurde, sollte das deutsche Gesetz vor diesem Hintergrund wieder in der Mottenkiste verschwinden.
Vielleicht bringt eine neue Bundesregierung im Gegensatz zur Ampel die Kraft für wirkliche Reformen auf. Hierfür müssen aber Prioritäten gesetzt werden. Immer mehr Angestellte beim Staat, ein Sozialetat von rund 40 Prozent und bestimmte Besitzstände bei Tarifverträgen oder der Rente sind Faktoren, die künftig so keinen Bestand mehr haben können. Das Comeback eines marktfreundlicheren Umfelds in einigen großen Industrieländern dürfte deshalb auch für einen wirtschaftlichen Turnaround in Deutschland hilfreich sein.