„Risiko für Rezession in Deutschland“: Chefvolkswirt Michael Holstein über die US-Zölle
Seit Mittwochabend ist es offiziell. Die USA holen die Zoll-Keule raus. Auf fast alle EU-Produkte soll es ab dem 9. April Einfuhrzölle in Höhe von 20 Prozent geben. Die Einfuhrabgaben auf europäische Autos fallen sogar noch höher aus. Auch zahlreiche andere Staaten werden mit hohen Gebühren belegt. Die weltweite Unsicherheit nimmt also weiter zu. Was die Entwicklung für die Wirtschaft bedeutet, ordnet Chefvolkswirt Michael Holstein im Interview ein.

Die USA sind das wichtigste Zielland für deutsche Exporte – was bedeutet die Zollkeule für das Wachstum in Europas größter Volkswirtschaft in diesem Jahr? Droht uns erneut eine Rezession?
Die nun verhängten allgemeinen Zölle von 20 Prozent und bei Autos sogar in Höhe von 25 Prozent werden die deutsche Konjunktur noch einmal stärker belasten als in unserem bisherigen Szenario. Damit steigt auch das Risiko, dass aus dem leichten Plus beim Wirtschaftswachstum, das wir für 2025 erwartet haben, nun doch wieder ein leichtes Minus wird.
Welche Branchen sind von den neuesten Entwicklungen am meisten betroffen?
Die Autoindustrie musste sich schon seit einigen Tagen darauf einstellen, dass sich die Bedingungen auf ihrem wichtigsten Auslandsmarkt durch die Zollanhebung auf 25 Prozent deutlich verschlechtern. Auch Maschinenbau und Chemie sind von den neuen Zöllen erheblich betroffen. Bei der Pharmaindustrie, die ebenfalls stark im US-Geschäft engagiert ist, muss sich erst noch zeigen, wie das neue US-Zollregime aussehen wird. Dieser Sektor bleibt vorerst von der Zoll-Keule verschont.
Bisher waren US-Zölle häufig niedriger als die der Handelspartner – hat Donald Trump einen Punkt, wenn er andere Länder deshalb als „schlimmste Übeltäter“ bezeichnet?
Nein, die Unterschiede waren bei den Durchschnittszöllen zumindest im Falle der EU ja ziemlich gering. Wir haben das auch kürzlich in einer Studie erläutert. Eine Ausnahme ist hier die Autoindustrie, wo dem 2,5 Prozent Zoll in den USA bisher ein Satz von 10 Prozent in der EU gegenüberstand. Allein die Zolldifferenzen rechtfertigen die nun verhängten „reziproken“ US-Zölle jedenfalls keineswegs.
Allein die Zolldifferenzen rechtfertigen die nun verhängten „reziproken“ US-Zölle jedenfalls keineswegs.
Mit welcher Gegenreaktion der EU ist zu rechnen und könnte sich die Zollspirale sogar noch weiter nach oben drehen?
Abgesehen von den schon angedrohten Zöllen auf Motorräder (Harley), Whiskey aus Tennessee und Erdnussbutter hält sich die EU-Kommission noch bedeckt. Das sind bislang eher Nadelstiche. Im Falle einer Zollspirale wären sicherlich auch Zölle oder Steuern auf digitale Dienstleistungen wie etwa Microsoft-Produkte denkbar.
Ein Blick auf die Märkte: Wie werden sich die Zölle auf Aktien und Anleihen auswirken?
Die Zölle belasten viele Unternehmen ganz direkt und lassen die Erträge sinken. Das wird sich auch an den Aktienmärkten zeigen. Am Anleihemarkt sehen wir, dass sichere Anlagen gesucht sind, die Rendite der Bundesanleihen ist beispielsweise merklich gesunken. Der Euro hat im Vergleich zum US-Dollar profitiert, er ist jetzt wieder rund 1,10 USD wert. Das zeigt, dass am Markt der wirtschaftliche Schaden für die USA größer eingeschätzt wird als für die EU.
Was bedeutet das Ganze für die globale Wirtschaft?
Neben der EU und den USA selbst sind auch viele andere Wirtschaftsregionen betroffen. Für China, Japan und die Länder in Südostasien sind die Vereinigten Staaten ein sehr wichtiger Absatzmarkt. Auch diese Region wird erheblich leiden. Die neue Zollpolitik der USA ist ein erheblicher Dämpfer für den Welthandel und das globale Wachstum.