„Es drohen Mehrbelastungen für den Haushalt“: Analyst Daniel Lenz über die Parlamentswahl in Frankreich
Ein rechter Durchmarsch bei den Parlamentswahlen in Frankreich ist nicht zur Realität geworden – der Rassemblement National (RN) erreicht nur Platz drei. Das liberale Bündnis Ensemble von Staatspräsident Emmanuel Macron wird nach den Linken immerhin zweitstärkste Kraft. Eine Fortführung seiner bisherigen Politik bedeutet das aber nicht. Da kein Bündnis die absolute Mehrheit erreicht hat, schlägt nun die Stunde der Kompromisse. Daniel Lenz, Leiter Strategie Euro-Zinsmärkte, ordnet die Situation im Interview ein.
Daniel, der rechtspopulistische Rassemblement National belegt bei den Parlamentswahlen nur den dritten Platz – ist Präsident Emmanuel Macrons Kalkül nun doch aufgegangen?
Macrons ursprüngliches Kalkül, die Parlamentswahlen würden dem Rassemblement National (RN) nach seinem Sieg bei der Europawahl politisch die Grenzen aufzeigen, ist nicht aufgegangen. Das Ergebnis der ersten Wahlrunde war aus der Sicht des Präsidenten desaströs. Nur die Absprache mit dem Linksbündnis NFP, dass dritt- und viertplatzierte Kandidaten auf die Stichwahl verzichten, um auf Basis des Mehrheitswahlrechts dem RN Paroli zu bieten, konnte das Blatt noch wenden. Zumindest hat Macrons Bündnis Ensemble am Ende noch einen gesichtswahrenden zweiten Platz erringen können.
Was waren die ersten Marktreaktionen – mit Blick auf Anleihen und Aktien?
Der Markt hatte im Vorfeld der Stichwahl sowohl Sorge vor einer absoluten Mehrheit des Linksbündnisses als auch des RN. In beiden Fällen hätten massive Folgen für den französischen Staatshaushalt, aber auch Kontroversen mit der EU und den europäischen Partnern in Handels- oder außenpolitischen Fragen gedroht. Beide Extremfälle sind aber ausgeblieben. Deshalb überwog an den Finanzmärkten zunächst die Erleichterung. Euphorisch ist die Stimmung trotzdem nicht, weil noch unklar ist, wie es nun politisch genau weitergeht.
Die absolute Mehrheit hat kein Bündnis erreicht: Was für eine Koalition ist jetzt am wahrscheinlichsten und was bedeutet das für den Wirtschaftsstandort Frankreich, den Macron ja durchaus vorangebracht hat?
Nach der roten Karte für den RN liegt der Ball zumindest wieder im politischen Feld des Präsidenten. Er wird nun versuchen, das Linksbündnis zu spalten und mit den moderaten Kräften, darunter Sozialisten und Grüne, eine Allianz zu bilden. Eine Zusammenarbeit mit der Linksaußenpartei La France insoumise von NFP-Spitzenkandidat Mélenchon kommt für Macron nicht infrage. Der Preis einer Einigung könnte aber hoch sein. Er wird erhebliche Zugeständnisse im Bereich der Sozial-, Arbeitsmarkt- und Steuerpolitik machen müssen und trotzdem dürfte eine solche Liaison nicht stabil sein. Es drohen Mehrbelastungen für den Haushalt, gleichzeitig könnten sich die in den vergangenen Jahren verbesserten Investitionsbedingungen westlich des Rheins wieder verschlechtern.
Das hohe Defizit von Frankreich dürfte sich also verfestigen – was bedeutet das für die Eurozone? Ist eine neue Staatschuldenkrise denkbar?
Grundsätzlich ist die Entwicklung der französischen Staatsschulden ungünstig und eine Änderung zum Besseren ist kaum absehbar. Europa hat aus früheren Krisen aber gelernt und etliche Mechanismen zur Krisenprävention eingeführt. Die EZB kann im Rahmen des Transmission Protection Instrument (TPI) am Staatsanleihemarkt intervenieren, sofern die Aktivierungskriterien erfüllt sind, und so überschießenden Spreads entgegenwirken. Zudem ist die EU inzwischen eine etablierte Anleiheemittentin, die bei Bedarf ebenfalls die Schuldenaufnahme für fiskalische Transfers vergrößern könnte. Die Gefahr einer neuen Staatsschuldenkrise ist aus heutiger Sicht daher eher gering, die politischen Diskussionen, ob die Fiskalprobleme einzelner Mitgliedsstaaten notfalls auf europäischer Ebene behandelt werden sollten, dürften aber nicht abnehmen.