„Die Investitionsbereitschaft vieler Landwirte sinkt“ – Christopher Braun über die aktuelle Lage in der Agrarbranche

Die Landwirtschaft steht vor enormen Herausforderungen. Klimawandel, Nachhaltigkeit und der politische Wandel werfen die Frage auf, wie Landwirte künftig erfolgreich sein können. Christopher Braun, Leiter unseres Firmenkunden-Agrarzentrums, berichtet, wie die Landwirte auf den Ausgang der Europawahl blicken. Zudem erklärt der Experte, welche besondere Verbindung Genossenschaftsbanken zur Agrarbranche haben und wieso die EU-Kommission auf die Kompetenz der DZ BANK setzt.

 

Christopher, seit einiger Zeit vertrittst du die DZ BANK in einer Arbeitsgruppe mit anderen europäischen Genossenschaftsbanken, die Leitplanken für die Landwirtschaft entwickelt. Worum geht es da genau?

Die Kommission will die Wünsche und Bedürfnisse des Agrarsektors besser verstehen. Wir wurden von Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen gebeten, eine Arbeitsgruppe zu bilden. Darin wird erarbeitet, was die Landwirtschaft aus Sicht der Finanzierer braucht, um zukünftig erfolgreich zu sein. Dass viele Landwirte unzufrieden sind, haben wir an den Protesten zu im vergangenen Winter gesehen. Abgesehen davon sind Agrarsubventionen der größte Einzelposten im europäischen Haushalt, sie machen rund ein Drittel des Etats aus. Um sie zu erhalten, müssen die Betriebe immer höhere Auflagen erfüllen. Diese dringend benötigten Gelder sollen auch weiterhin bei den Betrieben ankommen. Auch das ist ein Ziel unserer Arbeitsgruppe. 

Warum richtet sich die Anfrage eigentlich speziell an die Genos?

Die Landwirtschaft ist historisch eng mit den Genossenschaftsbanken verbunden. Insbesondere in Westeuropa und vor allem in Deutschland: Mehr als die Hälfte des an Landwirte vergebenen Kreditvolumens stammt von genossenschaftlichen Instituten und zu 80 Prozent der rund 250.000 Höfe in Deutschland pflegt der Genosektor eine aktive Geschäftsbeziehung. Diese Marktdurchdringung ist einzigartig. 

Zu 80 Prozent der rund 250.000 Höfe in Deutschland pflegt der Genosektor eine aktive Geschäftsbeziehung. Diese Marktdurchdringung ist einzigartig.

Christopher Braun, Leiter Firmenkunden-Agrarzentrum DZ BANK

Was sind die Probleme in der Industrie? 

Im Prinzip sind die Bedürfnisse der Landwirte die gleichen wie bereits vor einigen Jahrzehnten: erfolgreiches Wirtschaften bei größtmöglichem Umwelt- und Tierschutz. Allerdings verändern sich die Rahmenbedingungen, unter denen sie arbeiten, in zunehmender Geschwindigkeit. Das zeigt sich zum Beispiel an den Anforderungen für Tierställe. Was noch vor wenigen Jahren als neuer Maßstab galt, genügt heute nicht mehr. Für den Landwirt bedeutet das: Der Stall muss erneut umgebaut werden. Das ist nicht nur ärgerlich, sondern auch teuer – gerade in Zeiten, in denen die Preise und auch Zinsen gestiegen sind. Das Ergebnis: Die Investitionsbereitschaft vieler Landwirte sinkt. 

Was würde der Landwirtschaft helfen?

Letztendlich brauchen die Landwirte vor allem eines: Planbarkeit, also eine möglichst vorausschauende und langfristige Gesetzgebung. Wir Finanzierer gehen fest davon aus, dass wieder mehr investiert wird und auch die Finanzierungsanfragen deutlich ansteigen, sobald wieder mehr Planungssicherheit vorliegt. Hinzu kommt, dass die Standards für eine nachhaltige Landwirtschaft innerhalb der EU vereinheitlicht werden sollten, sodass die Preisgestaltung und damit der Wettbewerb fair bleiben. 

Du bist regelmäßig auf den Höfen Deutschlands unterwegs und sprichst mit vielen Landwirten – auch über die Europawahl. Ist das Ergebnis gut oder schlecht für die Agrarindustrie?

Das kann man pauschal nicht sagen. Fakt ist, dass es Auswirkungen haben wird, dass die etablierten Parteien an Zuspruch verloren haben. Das zeigt sich beispielsweise am European Green Deal. Er gibt vor, dass Treibhausgase in Europa verringert werden. In dem Zuge soll bis 2030 ein Viertel aller Höfe Europas in Biolandwirtschaft betrieben werden. Deutschland verfolgt sogar das Ziel von 30 Prozent.

Das führt zu einem großen Transformationsbedarf. Ob diese Quote überhaupt erreicht werden kann, wurde vor der Wahl in der Branche ähnlich stark bezweifelt wie der Ausstieg aus den Verbrenner-Motoren. Viele Landwirte erwarten nun, dass die strengen Regeln auf dem Weg dahin möglicherweise etwas aufgeweicht werden, vor allem, was die zeitliche Umsetzung angeht. Das wäre natürlich eine Entlastung für unsere Kunden – auch wenn weiterhin davon auszugehen ist, dass die EU am Gesamtziel festhält, da der Klimawandel eine riesige Herausforderung ist. 

Also profitiert die Landwirtschaft vom Wahlausgang? 

Es gibt auch Schattenseiten, das zeigen die Gespräche mit den Landwirten deutlich. Ein Beispiel: Vor kurzem habe ich einen Großkunden in Sachsen-Anhalt besucht. Er beklagte deutlich, dass der zunehmende Rechtsruck enorm geschäftsschädigend für seinen Betrieb sei. Denn dieser ist auf die Unterstützung ausländischer Fachkräfte händeringend angewiesen. Rund drei Viertel seiner Angestellten kommen mittlerweile aus Osteuropa, etwa Rumänien, Polen oder der Ukraine. Ohne diese Vielfalt geht es bei ihm und anderen nicht. Viele Betriebe sind besorgt, dass es mit dem neuen europäischen Parlament künftig noch schwieriger werden könnte, Personal zu finden.