Drei Zinssenkungen bis Jahresende: Jan Holthusen blickt auf die Geldpolitik der EZB

Jan Holthusen hält eine Zinssenkung für angemessen

Im Kampf gegen die Inflation hat die Europäische Zentralbank seit Juli 2022 zehn Mal an der Zinsschraube gedreht. Aktuell beträgt der Einlagensatz 4,0 Prozent. Seitdem ist die Teuerung im Euroraum stark zurückgegangen und nähert sich langsam wieder dem Zwei-Prozent-Ziel der Notenbank. Gleichzeitig lastet die restriktive Geldpolitik auf der Wirtschaft. Auch deshalb haben die Währungshüter signalisiert, dass sie die Zinsen am kommenden Donnerstag senken werden. Das DZ BANK Research rechnet mit einem ersten Schritt in Höhe von 25 Basispunkten. Im Interview ordnet Bereichsleiter Jan Holthusen die erwartete Zinswende ein und erklärt, was das für Märkte und Sparer bedeutet.


Herr Holthusen, ist die Inflation wirklich besiegt oder senkt die EZB die Zinsen vor allem, weil es mit der Wirtschaft nicht so rund läuft?
„Die Inflation ist nicht tot, sie schläft nur“ war ein Ausspruch der Zinsfalken in den 2010er Jahren, als die Notenbanken weltweit vermeintliche Deflationsgefahren bekämpften. Und das gilt umso mehr heute. Die Raten sind nach wie vor über dem Zielniveau der EZB, ein Anstieg in den kommenden Monaten durchaus möglich. Bundesbankchef Joachim Nagel sagte im Oktober letzten Jahres, das „gierige Biest Inflation sei noch nicht besiegt“. Das gilt auch noch Anfang Juni 2024. Allerdings ermöglicht es die geringe Dynamik der Konjunktur sowie das inzwischen wieder deutlich gesunkene Inflationsniveau der EZB, den Grad der monetären Restriktion etwas zurückzufahren und damit die Zinsen leicht zu senken.
 
In der Regel folgt die EZB bei ihrer Zinspolitik der Federal Reserve – warum ist das jetzt anders?
Dass die EZB der Fed folgt, ist kein Naturgesetz. Durch den internationalen Konjunkturzusammenhang hatten wir uns in den vergangenen Dekaden allerdings an diese Reihenfolge gewöhnt. Dieses Mal ist es so, dass in den Vereinigten Staaten trotz der zurückliegenden Zinserhöhungen die Konjunktur weiterhin gut läuft – nicht zuletzt, aufgrund einer massiven, schuldenfinanzierten Unterstützung der Wirtschaft durch den Staat. Damit verbunden ist ein Wiederanziehen der Inflation. Dagegen kämpft sich die Konjunktur in der Eurozone weiterhin mühsam aus einer De-facto-Rezession. Durch den Überfall Russlands auf die Ukraine und die nachfolgenden Entwicklungen wurde Europa sehr viel stärker beeinträchtigt als die Vereinigten Staaten. Hinzu kommen hausgemachte strukturelle Probleme wie eine hohe Regulierungsdichte, Bürokratie und ambitionierte Umweltziele – alles eben nicht unbedingt Wachstumstreiber.

In den USA läuft die Wirtschaft deutlich robuster als in Europa und die Zinsen bleiben vorerst hoch – was macht das mit dem Euro?
Die Märkte haben das weitgehend eingepreist. Daher erwarten wir kurzfristig keine deutlicheren Bewegungen. Für eine stärkere Aufwertung des Dollars reicht das nicht aus. Außerdem könnten latente Zweifel an der Solidität des US-Staatshaushalts dagegensprechen.

Was bedeutet die Zinswende für die Sparer mit Blick auf Tagesgeld, Aktien und Anleihen?
Die anstehenden Leitzinssenkungen dürften sich relativ schnell in sinkenden Zinssätzen für Tages- und Termingelder niederschlagen. Typischerweise reagieren die Zinssätze für längere Laufzeiten nur unterproportional. Daher ist hier nur mit einem vergleichsweise geringen Renditerückgang zu rechnen. Solange die Weltkonjunktur robust bleibt, sind sinkende Leitzinsen für die Aktienmärkte ein gutes Zeichen.

Wie geht es jetzt mit den Leitzinsen weiter und können Sie einen Ausblick für den weiteren Verlauf in diesem Jahr geben?
Die EZB dürfte auf der vorsichtigen Seite bleiben. Sie wird wohl keinen Pfad für die Zinsen vorzeichnen, sondern betonen, dass sie datenabhängig agiert. Wir erwarten bis Jahresende pro Quartal eine Senkung von 25 Basispunkten, so dass wir 2024 mit einem Einlagensatz von 3,25 Prozent beenden.