Branchenanalyst Claus Niegsch blickt auf die Bauernproteste: „Langfristig werden große Agrarbetriebe die Branche prägen“
Spätestens seit Beginn dieser Woche weiß die breite Bevölkerung, dass die meisten Landwirte in Deutschland mit den hiesigen Rahmenbedingungen nicht zufrieden sind. Neben immer größer werdenden bürokratischen Herausforderungen stört die Branche, dass die Politik Subventionen schrittweise abbauen will. DZ BANK Analyst Claus Niegsch, der sich seit Jahren mit dem Sektor beschäftigt, schätzt die Lage im Interview ein.
Die Traktoren sind los: Warum sind Deutschlands Bauern so aufgebracht?
Landwirtschaft und Ernährungsbranche in Deutschland befinden sich schon seit vielen Jahren in einem tiefgreifenden Strukturwandel. Die Betriebe haben sich immer mehr zu mittelständischen Wirtschaftsunternehmen entwickeln müssen. Zunehmende Anforderungen durch Umweltschutz, Tierwohl und Betriebswirtschaft steigerten jedoch die Belastung der Betriebe. Dadurch bleibt immer weniger Zeit für die eigentliche landwirtschaftliche Tätigkeit. Hinzu kommen die Herausforderungen durch den Fachkräftemangel, der Renteneintritt der geburtenstarken Jahrgänge und die Sorge um die Hofnachfolge. Langfristig dürften daher immer mehr große, kapitalintensive und betriebswirtschaftlich organisierte Agrarbetriebe, die modernste Technik einsetzen, die Branche prägen.
Der Begriff Höfesterben macht die Runde – was hat es damit auf sich?
Gab es 1949 noch 1,8 Millionen landwirtschaftliche Betriebe, waren es 2022 nur noch 256.000. Bis 2040 dürfte die Zahl weiter auf etwa 100.000 sinken. Gleichzeitig dürfte die durchschnittliche Größe eines Betriebs von 64,8 Hektar im Jahr 2022 auf 160 Hektar zulegen. 1949 waren es sogar nur 7,4 Hektar. Durch wachsende Betriebsgrößen lassen sich die „Economies of Scale“ besser nutzen und die Unternehmen werden wettbewerbsfähiger.
Was braucht die Branche, damit der Strukturwandel erfolgreich bewältigt werden kann?
Digitalisierung, Nachfolgeprobleme, Regulierungsmaßnahmen für Umwelt- und Tierschutz und ein intensiver Preiswettbewerb sorgen dafür, dass sich der Veränderungsprozess fortsetzen wird. Dazu sind hohe Investitionen in Maschinen und Technik notwendig. Insgesamt wird die landwirtschaftliche Produktion in Deutschland noch kapitalintensiver, als sie heute bereits ist. Damit droht langfristig aber die Abkehr vom Jahrhunderte alten Modell des bäuerlichen Familienbetriebes. Künftig dürften zunehmend zwar inhabergeführte, aber große, kapitalintensive und betriebswirtschaftlich organisierte Agrarunternehmen die Branche prägen. Diese neue Generation landwirtschaftlicher Unternehmen nutzt intensiv modernste Technik und greift trotz rückläufigem Arbeitskräfteeinsatz auf familienfremde Fachkräfte zurück. Der traditionelle bäuerliche Familienbetrieb sollte seine Chance vor allem in der Spezialisierung und in der Öko-Landwirtschaft suchen.
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