Sonderbefragung: Mittelstand verlagert Lieferketten nach Europa
- Jeder dritte Mittelständler will sich zur Stabilisierung seiner Lieferketten stärker auf das Geschäft mit Westeuropa fokussieren.
- 21 Prozent der Unternehmen setzen zudem auf Ost- und Mitteleuropa. Insbesondere für die Lieferketten der Chemieindustrie wird diese Region wichtiger.
- Firmenkundenvorstand Uwe Berghaus: „Es gibt einen eindeutigen Trend, dort zu produzieren, wo die Produkte später auch verwendet werden.“
Der deutsche Mittelstand will den Fokus seiner Lieferketten in den nächsten Jahren in sichere Häfen verlagern. Das ist das Ergebnis einer repräsentativen Sonderbefragung der DZ BANK von mehr als 1.000 Geschäftsführern und Entscheidern hinsichtlich der Resilienz ihrer Lieferketten. Um die Gefährdung der eigenen Wertschöpfungskette durch politische Unruhen oder lange Transportwege zu umgehen, setzt eine Vielzahl der Firmen künftig auf Europa.
So gab ein Drittel der Mittelständler an, sich stärker auf das Geschäft mit seinen westeuropäischen Nachbarn konzentrieren zu wollen. Aber auch Ost- und Mitteleuropa werden in den Lieferketten der Mittelständler eine größere Rolle spielen als bisher. Mehr als jeder Fünfte unter ihnen gab an, dass diese Region rund um Länder wie Polen, Tschechien und die Slowakei an Einfluss gewinnen wird, was die Versorgung mit Vorprodukten sowie die Abnahme von Endprodukten anbelangt. Insbesondere die Chemieindustrie sieht in Ost- und Mitteleuropa gute Chancen. Bereits heute ist jeder dritte Mittelständler der Befragung zufolge abhängig von dieser Region – im Agrarsektor ist es sogar jeder Zweite.
„Dass der Mittelstand verstärkt auf Europa setzen will, ist ein gutes Zeichen für den Standort und trägt zu dessen wirtschaftlicher Unabhängigkeit bei“, sagt Uwe Berghaus, Firmenkundenvorstand der DZ BANK. „Damit stabile Lieferketten innerhalb Europas gewährleistet sind, muss die Leistungsfähigkeit des Kontinents sichergestellt sein. Dazu gehören wettbewerbsfähige Energiepreise und ein klarer Transformationspfad hin zu einer nachhaltigeren Wirtschaft, der die Unternehmen aber nicht überfordert.“
Bedeutung der USA als Handelspartner nimmt zu
Auch die USA gewinnen an Bedeutung für die Lieferketten der Mittelständler. Für 15 Prozent der Unternehmen wird das Land in den nächsten fünf Jahren eine größere Rolle in den Handelsbeziehungen spielen. Insbesondere die großen Industriebranchen wie die Elektroindustrie, der Chemiesektor sowie der Metall-, Automobil- und Maschinenbau strecken ihre Fühler über den atlantischen Ozean aus. Insbesondere größere Mittelständler wollen den USA einen größeren Stellenwert beimessen.
„Es gibt einen eindeutigen Trend, dort zu produzieren, wo die Produkte später auch verwendet werden“, erläutert Uwe Berghaus. „Auch damit rüsten sich die Firmen gegen Geschäftsausfälle. Das ist insbesondere in Zeiten, in denen die Abschottung einzelner Nationen droht, essenziell.“
Größere Mittelständler ziehen sich aus China zurück – kleinere zieht es stärker dorthin
Anders sieht es beim wichtigen Handelspartner China aus. Von dem Land sind heute die Lieferketten von mehr als einem Drittel der Mittelständler abhängig. Den Rückzug aus China streben 16 Prozent der größeren Unternehmen ab 50 Millionen Euro Jahresumsatz an. Unter den kleineren mit bis zu 5 Millionen Euro Jahresumsatz geht allerdings fast jeder Fünfte davon aus, China künftig stärker in die Lieferketten zu integrieren. Damit hält sich die zukünftige Bedeutung des Landes für die mittelständischen Lieferketten insgesamt die Waage.
Über alle Größenklassen hinweg zurückziehen will sich der Mittelstand aus der Ukraine – hier wollen 22 Prozent ihre Geschäftsbeziehungen abbauen – und Russland (17 Prozent), aber auch aus Großbritannien. Rund 15 Prozent der Unternehmen gaben an, dass das Land nach dem vollzogenen Brexit künftig eine kleinere Rolle in ihren Lieferketten spielen wird als bisher. Lediglich 4 Prozent der Befragten gehen davon aus, dass die Bedeutung Großbritanniens in den kommenden Jahren zunimmt.
Um sich langfristig gegenüber Ausfällen einzelner Lieferanten oder Materialengpässen abzusichern, hat der Mittelstand ebenfalls Strategien entwickelt. Zwei Drittel gaben in der Befragung an, künftig auf ein verbreitertes Lieferantennetzwerk zu setzen. Mehr als die Hälfte der Firmen will zudem ihre Lagerkapazitäten ausbauen, um Engpässe bei Vorprodukten zumindest für eine gewisse Zeit über die eigenen Vorräte ausgleichen zu können. Darüber hinaus denkt fast jeder Dritte mittlerweile darüber nach, das Geschäftsmodell anzupassen. 38 Prozent erwägen zudem, ihre Produktion anzupassen, um auf diese Weise Abhängigkeiten in der Wertschöpfungskette zu verringern.
Die Studie können Sie hier downloaden.
Über die Sonderumfrage
Die Daten für die Sonderumfrage wurden in der Zeit vom 12. September bis 17. Oktober 2022 über Telefon- und Onlineinterviews erhoben. An der repräsentativen Umfrage beteiligten sich mehr als 1.000 Inhaber und Geschäftsführer mittelständischer deutscher Unternehmen.